Wiebke Tomescheit
Die Bühne wirkt am Dienstagabend winzig und schrecklich weit weg. In der
ausverkauften Barclaycard-Arena wird gleich Bob Dylan am Mikrofon stehen - aber
wie viel wird man so vom Literatur-Nobelpreisträger mitbekommen? Der Meister
und seine perfekt geölte Band, die pünktlich um acht Uhr auf die Bühne kommen,
machen das einzig Richtige: Sie zaubern mit ein paar schlichten, warmen
Lichtern gemütliche Kaminfeuer-Atmosphäre - und plötzlich wirkt die Halle gar
nicht mehr so furchtbar groß.
Dylan versteckt sich während der ersten Songs noch hinterm Klavier, am
Bühnenrand. Er blickt kaum ins Publikum. Dennoch hat er sichtlich Spaß,
improvisiert an den Tasten und gönnt den Fans direkt ein paar Lieblingssongs. „Things
Have Changed“, „Highway 61“ und „To Ramona“, das er einst für Ex-Freundin Joan
Baez schrieb. Letzteres singt er besonders launig.
Aber generell war Bob bester Stimmung. Er verfremdete seine Songs kaum, wie
es früher die Art des eigenwilligen Künstlers war. Er krächzte mit seiner
unverwechselbaren Stimme enthusiastisch ins Mikro und stolzierte zu „Melancholy
Mood“ neckisch über die Bühne. Und beginnend mit „Love Sick“, weiter zu
„Tangled Up In Blue“, wurde es magisch. Dylan wirkte, als würde er tatsächlich
weder seine Hit-Songs, seinen Job oder seine Fans hassen. Der Mann im Hut
schien ebenso beseelt wie seine Zuhörer. Das ist sehr, sehr schön.
Vielleicht, weil das Hamburger Publikum ihn gutwillig auch seine jüngsten
Coverversionen, Sinatra-Songs und amerikanischen Standards singen lässt, sie
sogar freundlich mit Szenenapplaus begrüßt. Dylan legt hier noch mal einen
besonderen, ungewohnten Schmelz in seinen Gesang. Mit fremdem Material geht er
doch immer noch etwas zärtlicher um als mit dem eigenen Stoff.
Allerdings lässt Dylan sich bei allem Vergnügen nicht zu großen Worten
hinreißen. Begrüßung, Zwischenansagen? Fehlanzeige! Aber eine große
Plaudertasche war er noch nie. Dafür ein großer, großer Künstler. Und so zahm
wie der dickköpfige 75-Jährige am Dienstag gab, verließen nach gut zwei Stunden
vielleicht sogar die Dylan-Neulinge, die den Meister vor allem wegen des
Nobelpreises sehen wollten, die Arena ohne Kulturschock - dafür aber mit einer
seltsamen Ehrfurcht.
aus: Hamburger Morgenpost, S. 34/35, 12. April 2017