Gigantischer Gedicht-Wettstreit: Michel Abdollahi holt die besten Stand-up-Dichter in den Stadtpark



Wenn man sagt, dass Michel Abdollahi (36) den Poetry-Slam in Deutschland erfunden hat, wäre das kaum übertrieben: Dem Hamburger ist zu verdanken, dass die Slam-Szene heute aktiv ist wie nie zuvor und Hamburg zu ihrem Zentrum wurde. Am 4. Juni wagt Abdollahi etwas Großes: Er lädt seine liebsten Slammer in den Stadtpark ein.

MOPO: Herr Abdollahi, wenn Sie einen Slam moderieren – haben Sie da persönliche Favoriten unter den Teilnehmern?

Michel Abdollahi: Als wir angefangen haben, waren wir noch sehr darauf bedacht, neutral zu bleiben. Jemanden zum Beispiel nicht als „Der großartige…“ vorzustellen.  Heute ist das anders: Die meisten Poetry-Slammer sind mittlerweile so häufig aufgetreten, dass ihr Ego nicht mehr so empfindlich ist. Wir arbeiten alle mehr im Dienste der Veranstaltung als für unsere Selbstverwirklichung – und ich möchte auch abliefern!

Erinnern Sie sich an Ihren ersten Poetry-Slam?

Klar, danach wurde ich schon echt oft gefragt (lacht). Das dürfte so 2000 gewesen sein, da war ich 18, direkt nach dem Abi. Das war im Molotow – und ich habe gewonnen. Aber am nächsten Tag bin ich direkt in den Urlaub zu meiner Oma nach Teheran gefahren und konnte drei Monate niemandem so richtig erzählen, dass ich gewonnen hatte!

Heute stehen Sie lieber als Moderator auf der Bühne. Warum treten Sie nicht mehr selbst an?

Das letzte Mal ist sechs oder sieben Jahre her. Ich komme einfach nicht mehr dazu. Und ich bin auch ganz froh, wenn ich an meinen freien Abenden mal keinen Slam anstehen habe. Ich poste meine Texte heute in den sozialen Medien – auch die Kolumnen, die ich schreibe, wären Texte, die ich früher vorgetragen hätte.

Sie haben extrem dazu beigetragen, dass das Genre Poetry-Slam in Hamburg heute überhaupt so populär ist.

Ich und Jan-Oliver Lange haben das 2005 im Zeise-Kino als Hobby gestartet. Das war teils unheimlich anstrengend und ist mit vielen Verlusten – Geld und Energie – einher gegangen. Aber es war auch sehr cool. Im Publikum war eines Tages der Chefdisponent vom Schauspielhaus und fragte: „Wollt ihr nicht zu uns kommen?“ Das haben wir gemacht. Und mir war klar: Dafür muss ich einen Anzug anziehen! Durch die Filmaufnahmen aus dem Schauspielhaus haben wir die Szene in vielen anderen Städten beeinflusst – ich habe oft gehört, dass Leute damit zu ihren Theatern gegangen sind, die Poetry-Slams vorher abgelehnt hatten. Es wurde für alle einfacher, darauf bin ich schon stolz.

Viele Poetry-Slammer sind sehr lustig. Wo verläuft denn da die Grenze zum Kabarett?

Elemente aus dem Kabarett waren da schon immer drin, aber es ist trotzdem etwas anderes: Im Kabarett hast du eine Rolle, oft ja auch eine Verkleidung. Beim Slam sind keine Requisiten erlaubt, du musst du selbst sein. Und es machen ja nicht alle was Lustiges – es gibt Leute mit toller Lyrik, reimend von vorne bis hinten, oder ganz klassische Kurzgeschichten, vom Zettel abgelesen.

Wie sehen Sie den Einfluss, den der Hype um Julia Engelmann auf die Szene hatte?

Das war natürlich wichtig. Aber es gab auch Leute, die dann dachten, alle Slammer sind wie Julia – was gar nicht der Fall ist. Ich habe in dieser Zeit wieder angefangen, mehr zu erklären, auf der Bühne. Mittlerweile hat sich das wieder eingependelt. Wir sind lange befreundet, und vor einer Weile war ich bei einer Lesung von Julia in der Laeiszhalle. Die Menschen da waren total glücklich, und viele meinten: Heute sehen wir Julia und morgen sind wir dann bei euch. Das ist eben das Schöne.

Sie haben keine Angst, dass durch die Beliebtheit von Poetry-Slams und durch große Veranstaltungen wie jetzt im Stadtpark die kleinen Events für Newcomer zu kurz kommen?

Nein. Der Slam ist vielfältiger geworden: Schauspielhaus ist anders als Thalia-Theater, Uebel & Gefährlich ist anders als Zeise-Kino. Ich glaube, wenn der Slam immer in der Nische geblieben wäre, gäbe es ihn vielleicht gar nicht mehr. In Hamburg gibt es unglaublich viele Angebote, für jeden etwas – diese Struktur gibt es in anderen Orten gar nicht. Und ich finde es schon cool, im Sommer mal etwas anzubieten, was vom Normalen abweicht!

2015 haben Sie auf der Trabrennbahn Bahrenfeld mit dem größten Poetry-Slam der Welt einen Rekord aufgestellt.

Ja, über 5000 Leute waren da! Das hat bisher auch noch niemand getoppt. Aber im Stadtpark könnte er gebrochen werden … 

Das Interview führte
WIEBKE TOMESCHEIT

aus: Hamburger Morgenpost, S. 34/35, 29. Mai 2017